Genome von 233 Primatenarten entschlüsselt

(05.06.2023) Neue Erkenntnisse über die genetische Diversität und Evolution unserer nächsten Verwandten sowie über die genetischen Ursachen menschlicher Krankheiten


Mantelpavian (Papio hamadryas) im Hochland Eritreas.

Forschende aus 24 Ländern haben die Genome von 809 Affen aus 233 Arten analysiert und damit den bisher vollständigsten Katalog genomischer Informationen über unsere nächsten Verwandten erstellt.

Das Projekt, das aus einer Serie von Einzelstudien besteht und an denen auch Forschende des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ) beteiligt waren, liefert neue Erkenntnisse zur Evolution der Primaten, einschließlich des Menschen, sowie zu deren Artenvielfalt.

So hat sich bei Pavianen gezeigt, dass in mehreren Regionen ihres Verbreitungsgebietes Hybridisierung und Genfluss zwischen verschiedenen Arten stattfand und heute noch stattfindet und dass Paviane ein gutes Modell für die Evolution frühmenschlicher Linien innerhalb und außerhalb Afrikas sind.

Außerdem ermöglichen die Genomdaten mit Hilfe eines speziell entwickelten KI-Algorithmus, neue Erkenntnisse über die genetischen Ursachen menschlicher Krankheiten zu gewinnen (Sonderausgabe Science).

Primaten zeigen eine große genetische Vielfalt, die zwischen Arten und geografischen Regionen variiert.

„Die Erforschung dieser Vielfalt ist von entscheidender Bedeutung auch für das Verständnis der menschlichen Evolution, den Ursprung menschlicher Krankheiten und für den Schutz unserer nächsten Verwandten“, sagt Christian Roos, Wissenschaftler in der Abteilung Primatengenetik am Deutschen Primatenzentrum und einer der Autoren.

Unter der Leitung von Forschenden der Universitat Pompeu Fabra, Spanien, des Baylor College of Medicine, USA, und der Firma Illumina Inc., USA, wurden die Genome von 809 Individuen von 233 Primatenarten sequenziert. Dies deckt fast die Hälfte aller existierenden Primatenarten ab und erhöht die Anzahl der verfügbaren Primatengenome um das Vierfache.

Neue Erkenntnisse zur Evolution von Primaten und zur Sonderstellung des Menschen

Die vergleichenden Analysen liefern grundlegende Informationen zur genetischen Vielfalt und Evolutionsgeschichte von Primaten und wichtige Erkenntnisse darüber, was uns Menschen von den anderen Primaten unterscheidet. Die Genomdaten haben die Zahl der genomischen Varianten, von denen man annahm, sie kommen ausschließlich im Menschen vor, halbiert.

„Dies macht die Suche nach Mutationen leichter, die wir nicht mit anderen Primaten teilen, und die daher Grundlage für die Merkmale sein könnten, die uns zu Menschen machen“, sagt Dietmar Zinner, Wissenschaftler in der Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum.

Eine der Studien befasst sich eingehender mit der Evolution der Paviane und findet, dass es mehrere, bisher unbekannte Episoden von Hybridisierung und Genfluss zwischen Pavianarten gegeben hat.

„Wir haben herausgefunden, dass Paviane aus West-Tansania die ersten nichtmenschlichen Primaten sind, die aus drei genetischen Vorläuferlinien (Arten) hervorgegangen sind", sagt Liye Zhang, Promovierender am Deutschen Primatenzentrum und einer der Erstautoren dieser Pavianstudie.

„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die genetische Struktur der Pavianpopulation und ihre Geschichte des Genaustauschs zwischen Arten komplexer ist als bisher angenommen und zeigen, dass Paviane ein gutes Modell für ähnliche Prozesse in der Evolution früh-menschlicher Linien in und außerhalb Afrikas sind“, sagt Dietmar Zinner.

Artenschutz mit Hilfe von Genomdaten

Eine hohe genetische Diversität ermöglich es Arten sich besser an sich verändernde Umweltbedingungen und Krankheitserreger anzupassen. Insbesondere bei kleinen Populationen ist die Gefahr von Inzucht und damit einer Verminderung der genetischen Diversität gegeben.

Die Analyse der Diversität gibt daher Aufschluss, welche Arten zumindest aus genetischer Sicht am dringendsten geschützt werden müssen. Bereits jetzt sind 63 Prozent aller Primatenarten vom Aussterben bedroht. „Besonders niedrige genetische Diversität fanden wir bei den Goldstumpfnasenaffen Chinas und beim Fingertier in Madagaskar“, sagt Christian Roos.

Seltene Mutationen können das Krankheitsrisiko erhöhen

Eine der Grenzen in der Human- und klinischen Genetik besteht darin, dass es derzeit nicht möglich ist, unter Hunderttausenden von Mutationen diejenigen zu erkennen, die Krankheiten verursachen. Gegenwärtig sind die genetischen Ursachen vieler Volkskrankheiten wie Diabetes und Herzerkrankungen unbekannt, was entweder auf fehlende genetische Informationen oder auf die große Zahl der beteiligten genetischen und anderen Faktoren zurückzuführen ist.

Durch den Vergleich der Primaten-Genome konnten nun 4,3 Millionen Mutationen identifiziert werden, die möglicherweise die Funktion von Proteinen verändern und somit zu Krankheiten beim Menschen führen können.

Sechs Prozent der 4,3 Millionen identifizierten Mutationen kommen bei Primaten häufig vor und werden daher als potenziell für wenig ausschlaggebend für menschliche Krankheiten angesehen, da sie bei diesen Tieren toleriert werden. Dank des von der Firma Illumina Inc. entwickelten Deep-Learning-Algorithmus PrimateAI-3D können krankheitsverursachende Mutationen nun identifiziert werden.

„Es handelt sich um eine Art ChatGPT für die Genetik, das Genomsequenzen anstelle menschlicher Sprache verwendet“, erklärt Kyle Farh, Vize-Direktor der KI-Gruppe bei Illumina Inc., dem weltweit führenden Unternehmen im Bereich DNA-



Weitere Meldungen

Eurasische Braunbär (Ursus arctos arctos) ; Bildquelle: Gregoire Dubois, flickr, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Studie zeigt die Vielfalt der weltweit verbreiteten Braunbären

Braunbären zählen zu den größten an Land lebenden Raubtieren der Welt. Die etwa zehn derzeit identifizierten Unterarten sind in Nordamerika, Europa, Russland und Asien verbreitet
Weiterlesen

Universität Wien

Erbgut von Primaten als Schlüssel zur menschlichen Gesundheit

Primaten-Genome mittels KI auf klinische Relevanz von individuellen Genvarianten analysiert
Weiterlesen

Gernot Segelbacher; Bildquelle: Patrick Seeger/Universität Freiburg

Genomische Technologien zum Schutz der Arten

Unter Leitung des Freiburger Naturschutzgenetikers Prof. Dr. Gernot Segelbacher hat das internationale Netzwerk G-BIKE am 11. November 2021 ein Empfehlungspapier für Entscheidungsträger*innen veröffentlicht
Weiterlesen

Grüne Meeresschildkröte; Bildquelle: P.Lindgren - Own work, CC BY-SA 3.0

16 Wirbeltier-Referenzgenome veröffentlicht

Leibniz-IZW und BeGenDiv beteiligt an neuer Ära in der Genomsequenzierung
Weiterlesen

Uppsala University

How gene flow between species influences the evolution of Darwin’s finches

Despite the traditional view that species do not exchange genes by hybridisation, recent studies show that gene flow between closely related species is more common than previously thought
Weiterlesen

An Koala-Retroviren testeten Wissenschaftler erstmal die neue SIP-Methode zur Gensequenzierung; Bildquelle: David Clode

Fortschritte in der Wildtier-Genomforschung durch eine neue molekulare Methode

Einem Team von Wissenschaftler*innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz IZW), des Australischen Museums und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) ist es gelungen, eine neue Methode zur Identifizierung beliebiger flankierender Gensequenzen zu entwickeln
Weiterlesen

Wildkatze; Bildquelle: Thomas Stephan

Genomforschung für den Artenschutz - Internationale Fachtagung in Frankfurt

Das Artensterben messen und aufhalten: Eine gewaltige Herausforderung, für die dringend neue Ansätze und Methoden gesucht werden. Hoffnung ruht auch auf der modernen Molekulargenetik.
Weiterlesen

Spix's Scheibenflügel-Fledermaus (Thyroptera tricolor); Bildquelle: Sébastien Puechmaille

Internationales “Vertebrate Genomes Project” veröffentlicht 15 neue Genome

Das internationale „Vertebrate Genomes Project“ (VGP) ist offiziell gestartet und veröffentlicht 15 neue Referenzgenome, die alle fünf Klassen von Wirbeltieren repräsentieren
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen