Wie Vögel lernen

(13.08.2018) Singvögel können sowohl durch Beobachten als auch mittels Experimentieren neue Fähigkeiten erlernen.

Durch Experimentieren erworbene Fähigkeiten können sie allerdings besser an neue Situationen anpassen, wie Wissenschaftler der ETH und der Universität Zürich zeigen konnten. Die Forscher sehen auch Parallelen zum Lernen bei Kindern.

ETH Zürich Kinder lernen ständig Neues. Das Gelernte zu verallgemeinern und es auch in unbekannten Situationen anzuwenden, fällt ihnen aber je nach Lernweise unterschiedlich leicht. Ganz ähnlich geht es Singvögeln. Auch sie müssen in den ersten Monaten ihres Lebens vieles lernen, beispielsweise den charakteristischen Gesang ihrer Artgenossen.

Und auch Vögel bedienen sich wie der Mensch verschiedener Lernweisen. Wie sich diese auf die Fähigkeit zu verallgemeinern auswirken, haben Wissenschaftler unter der Leitung von Richard Hahnloser, Professor an der ETH Zürich und der Universität Zürich, nun bei Zebrafinken untersucht.

In Experimenten konnten die Forschenden zeigen, dass Zebrafinken durch das Beobachten eines Artgenossen lernen können. Die Vögel mussten durch Ausprobieren und Feedback lernen, Vogelgesangsvarianten nach ihrer Länge in zwei Klassen zu unterscheiden. Ohne spezielle Vorbereitung beherrschten die Vögel die Aufgabe im Mittel nach 4700 Wiederholungen.

Konnten die Finken ihre Artgenossen zuvor beim Lernen dieser Aufgabe beobachten, brauchten sie nur 900 Wiederholungen. Weil in dieser Versuchsanordnung aus statistischen Gründen 800 Wiederholungen benötigt werden, um das Können der Tiere zu evaluieren, heisst das: Die beobachtenden Vögel beherrschten die Aufgabe praktisch von Anfang an.

Besser verallgemeinern

Anschliessend testeten die Forscher, wie gut die Vögel eine zweite, ähnliche Aufgabe lösen konnten. Die Zebrafinken mussten einen anderen Satz an Gesangsvarianten ebenfalls nach ihrer Länge unterscheiden.

Dabei zeigte sich: Die Vögel, welche die erste Aufgabe von Anfang an mittels Ausprobieren und Feedback lernten, konnten die zweite Aufgabe praktisch von Beginn an, nach im Mittel 800 Durchgängen.

Die Artgenossen, welche die erste Aufgabe vor allem durch Beobachten lernten, brauchten für die zweite Aufgabe hingegen im Mittel 3600 Durchgänge.

«Bei den Zebrafinken ist demnach das Lernen durch Ausprobieren die robustere Lernmethode», fasst Hahnloser zusammen. «Vögel, die eine Fähigkeit durch Ausprobieren gelernt haben, können diese besser verallgemeinern und an neue Situationen anpassen als solche, welche die Fähigkeit durch Beobachten lernten.»

Beide Lernmethoden haben ihre Vorteile

Gagan Narula, Postdoc in Hahnlosers Gruppe und Erstautor der Studie, weist auf die Parallelen zum Lernen von Kindern und Jugendlichen hin: «Der handlungsorientierte Unterricht, bei dem das Ausprobieren und Experimentieren im Zentrum steht, setzt sich auch in den Schulen immer stärker durch. Zunehmend wird sogar Mathematik in der Sekundarschule mit Hilfe von Experimenten unterrichtet.»

«Beide Lernmethoden haben jedoch ihre Vorteile», sagt Hahnloser. «Lernen durch Beobachten ist schneller.» Er weist darauf hin, dass in unserem Bildungssystem bewusst beide Lernmethoden zur Anwendung kommen: Einerseits der Frontalunterreicht und das Beobachten, andererseits Experimente, Übungen und Hausaufgaben.

Gehirn unterschiedlich involviert

Neuronale Computermodelle halfen den Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse zu interpretieren. Aufgrund der Modellrechnungen gehen die Forschenden davon aus, dass im Gehirn der Vögel beim Beobachten viele Nervenzellsynapsen beteiligt sind, diese allerdings verhältnismässig schwach. Beim Ausprobieren hingegen sind nur wenige Synapsen beteiligt, diese jedoch besonders stark, was sich in einer höheren Fähigkeit zur Verallgemeinerung auswirkt.

Hahnloser drückt es so aus: «Beim Beobachten merken sich die Vögel ganz viele Gesangsdetails, von denen viele für die Lösung des Lernproblems irrelevant sind. Beim Ausprobieren hingegen merken sich die Vögel weniger. Sie konzentrieren sich auf die prägnantesten Gesangsmerkmale wie die Länge.»

Ob sich unterschiedliche Lernmethoden im Gehirn von Kindern und Jugendlichen ebenfalls auf diese Weise auswirken, bliebe zu untersuchen. «In der Vergangenheit hat die Forschung bei Zebrafinken immer wieder wichtige Hinweise und Hypothesen für die Erforschung neurobiologischer Vorgänge geliefert, auch dazu, wie Menschen ihre Sprache lernen», sagt Hahnloser.

«Unsere neusten Erkenntnisse bei Finken führen ebenfalls zu Hypothesen, die man auf geeignete Weise bei Menschen untersuchen könnte, um Lernprozesse besser zu verstehen.»

Publikation

Narula G, Herbst J, Hahnloser RHR: Learning to perform auditory discriminations from observation is efficient but less robust than learning from experience. Nature Communications, 13. August 2018, doi: 10.1038/s41467-018-05422-y [http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-05422-y]



Weitere Meldungen

Orang-Utan-Männchen beim Fressen; Bildquelle: Julia Mörchen/SUAQ

Eingewanderte Orang-Utans lernen von einheimischen Artgenossen viel über Nahrungsmittel

Neu in eine Region eingewanderte, männliche Orang-Utans auf Borneo und Sumatra beobachten einheimische Artgenossen und lernen von ihnen, welche ihnen unbekannten Nahrungsmittel sie konsumieren können
Weiterlesen

Dr. Yasemin Gültekin, Wissenschaftlerin in der Abteilung Funktionelle Bildgebung am Deutschen Primatenzentrum; Bildquelle: Karin Tilch/Deutsches Primatenzentrum GmbH

Auch Affen lernen zu kommunizieren

Verhaltensstudie an Weißbüschelaffen liefert neue Erkenntnisse zur Evolution von Sprache
Weiterlesen

Beim «Shelling» jagen Delfine einen Fisch ins leere Gehäuse einer Riesenschnecke. Diese befördern sie an die Wasseroberfläche, wo sie den Fisch in ihr Maul schütteln.; Bildquelle: Sonja Wild

Delfine erlernen neues Wissen ähnlich wie Menschenaffen

Delfine erlernen neue Techniken zum Beutefang nicht nur von ihren Müttern, sondern auch direkt von ihren Gefährten. Das zeigt eine Studie der Universität Zürich von mehr als 1'000 Tümmlern in der westaustralischen Shark Bay
Weiterlesen

Rabe; Bildquelle: Ipek G. Kulahci

Soziale Netzwerke fördern Lernerfolg

Raben lernen am besten von engen sozialen Partnern: Einer der großen Vorteile des Zusammenlebens ist es, neue Informationen von Gruppenmitgliedern zu erhalten
Weiterlesen

Freie Universität Berlin

Bedeutung des Schlafes für Lernprozesse bei Bienen nachgewiesen

Zwei Biologinnen der Freien Universität Berlin aus der Gruppe des angesehenen Bienenforschers Prof. Dr. Randolf Menzel haben erstmals die Bedeutung des Tiefschlafs für die Lernprozesse im Gehirn von Insekten nachgewiesen
Weiterlesen

Zebrafische ; Bildquelle: Vetmeduni Vienna/Zala

Wilde Zebrafische lernen das Einschätzen von Gefahren von zahmen Artgenossen

Einzelne Tiere lernen von ihren Artgenossen indirekt Informationen über Nahrung, Raubtiere und mögliche Fortpflanzungspartner. Dieses sogenannte soziale Lernen erspart ihnen, große Risiken dabei einzugehen, solche Informationen selbst herauszufinden
Weiterlesen

Dorothee Schneider

Die Welt in seinem Kopf - Über das Lernverhalten von Hunden

Dorothée Schneider konnte in ihrer über 20-jährigen Tätigkeit als Trainerin einen weitgreifenden, positiven Wandel in der Hundeszene miterleben: Veraltete Ausbildungsmethoden, die den Hund mit Drill und Härte in ein gewünschtes Verhalten zwingen, sind passé. Die gewaltfreie Ausbildung und Erziehung unter Berücksichtigung rassespezifischer Verhaltensweisen ist heute in aller Munde und setzt neue Maßstäbe für ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch und Hund
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen