Tauben fliegen mit der Karte im Kopf nach Hause

(25.07.2013) Ein Faszinosum: Brieftauben finden immer nach Hause. Nun weist eine Biologie-Doktorandin der Universität Zürich experimentell nach, dass Tauben eine räumliche Vorstellung und damit kognitive Fähigkeiten besitzen. Sie erkennen in unbekanntem Gelände, wo sie sich in Bezug zu ihrem Taubenschlag befinden und sind in der Lage, ihre Flugziele selbst zu wählen.

Brieftauben fliegen von einem ihnen unbekannten Ort in unvertrautem Gelände los und finden doch den Heimweg. Ihr Vermögen, nach Hause zu finden, hat die Menschen seit jeher beeindruckt. Worauf diese aussergewöhnliche Gabe beruht, ist trotz intensiver Forschung noch nicht abschliessend geklärt.


Taube wird mit einem Mini-GPS-Logger ausgerüstet

Bekannt ist lediglich, dass Brieftauben und Zugvögel ihre Flugrichtung mit Hilfe des Erdmagnetismus, der Sterne und des Sonnenstandes bestimmen. Wie Nicole Blaser, Biologie-Doktorandin an der Universität Zürich im «Journal of Experimental Biology» nachweist, navigieren Brieftauben anhand einer mentalen Karte.

Navigieren wie ein Roboter oder kognitive Fähigkeiten?

Die Forschung schlägt zwei Ansätze vor, wie Brieftauben von einem ihnen unbekannten Auflassplatz ihren Heimatschlag finden können. Die erste Variante geht davon aus, dass Tauben die Koordinaten ihres aktuellen Standortes mit jenen des Heimatschlags vergleichen und die Differenz dazwischen systematisch verkleinern.

Und zwar solange, bis sie die beiden Punkte zur Deckung gebracht haben. Träfe diese Variante zu, würden Tauben wie Flugroboter navigieren.


Brieftauben im Schlag

Die zweite Variante attestiert den Tauben eine räumliche Vorstellung und ein «Wissen», wo im Raum sie sich in Bezug auf ihren Heimatschlag aufhalten. Dies würde eine Art mentale Karte im Gehirn und damit verbunden kognitive Fähigkeiten voraussetzen. Eindeutige Beweise für die beiden vorgeschlagenen Navigationsvarianten fehlen bis jetzt.

Für ihre Experimente statteten Blaser und Kollegen Brieftauben mit Mini-GPS-Loggern aus, um die Flugrouten der Tiere zu verfolgen. Im Vorfeld gewöhnten die Forscher die Tauben daran, ihr Futter nicht wie sonst üblich im Heimatschlag aufzunehmen.

«Wir fütterten die Tauben in einem zirka dreissig Kilometer entfernten zweiten Schlag, von dem aus sie jeweils zurück in ihren Schlag fliegen mussten», erläutert Blaser den Aufbau des Experiments.

Anschliessend brachten die Wissenschaftler die Tauben an einen dritten, den Tauben nicht bekannten Ort in völlig unbekanntem Gelände. Dieser Auflassplatz lag wiederum dreissig Kilometer vom Heimat- und dem Futterschlag entfernt. Natürliche Geländehindernisse verhinderten den Sichtkontakt zwischen Auflassplatz und den beiden Schlägen.

Eine Gruppe der Tauben konnte sich vor dem Heimflug satt fressen. Die andere Gruppe dagegen ging hungrig an den Start.

Dazu Blaser: «Mit dieser Anordnung wollten wir herausfinden, ob die hungrigen Tauben zuerst zum Heimatschlag und von dort zum Futterschlag fliegen oder ob sie in der Lage sind, den Futterplatz direkt anzusteuern.»

Satte Tauben fliegen nach Hause, hungrige zum Futterplatz

«Erwartungsgemäss flogen die satten Tauben direkt zum Heimatschlag», erklärt Prof. Hans-Peter Lipp, Neuroanatom an der UZH und Blasers Doktorvater. «Sie starteten bereits mit Kurs auf ihren Schlag und wichen nur kurzfristig von ihm ab, wenn sie Geländehindernisse umflogen.» Ganz anders die hungrigen Tauben: Sie nahmen bereits am Start Kurs auf den Futterplatz und flogen diesen direkt an.

Auch sie umflogen Geländehindernisse, um dann sofort wieder auf ihren Ursprungskurs einzuschwenken. Aus diesem Vorgehen schliesst Blaser, dass Tauben ihren Standort und ihre Flugrichtung in Bezug auf das Ziel bestimmen und zwischen mehreren Zielen wählen können. Sie besitzen somit eine Art mentale Navigationskarte im Kopf und haben kognitive Fähigkeiten. «Tauben fliegen eben mit Köpfchen», schmunzelt die junge Biologin.

Literatur

N. Blaser, G. Dell’Ariccia, G. Dell’Omo, D. P. Wolfer and H.-P. Lipp. Testing cognitive navigation in unknown territories: homing pigeons choose different targets. Journal of Experimental Biology 216. July 24, 2013, doi: 10.1242/jeb.083246



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