Menschenaffen erlernen Verhaltensmuster in jeder Generation neu

(29.03.2021) Menschenaffen geben ihre Verhaltensweisen nicht an die nächste Generation weiter. Sie kopieren das Wissen ihrer Artgenossen nicht, sondern lernen es in jeder Generation neu – im Gegensatz zum Menschen.

Dies zeigt eine Studie von Dr. Alba Motes-Rodrigo und Dr. Claudio Tennie von der Arbeitsgruppe „Werkzeuge und Kultur bei frühen Homininen“ der Universität Tübingen. „Affen sind darauf angewiesen, das sprichwörtliche Rad immer wieder neu zu erfinden. Die Form des Rades ändert sich dabei aber nicht“, erklärt Tennie.

Universität Tübingen Das Team aus dem Fachbereich Ältere Urgeschichte und Quartärökologie suchte in allen veröffentlichten Berichten über Menschenaffen nach Aussagen über lokal einzigartige Verhaltensmuster, wie zum Beispiel über Schimpansen, die Blätter als Löffel zum Wassertrinken einsetzten. Anschließend wurden diese systematisch auf Richtigkeit untersucht.

Auf diese Weise wurde auf indirektem Wege überprüft, ob Menschenaffenkulturen auf den gleichen Mechanismen wie menschliche Kulturen aufgebaut sind. Die Studie wurde im Fachmagazin Biological Reviews veröffentlicht.

In der menschlichen Kultur werden Verhaltensweisen dadurch erlernt, dass Menschen sich gegenseitig beobachten und kopieren. So wird wertvolles Wissen an die nächste Generation weitergegeben. Hierbei werden Verhaltensweisen oft leicht abgewandelt, denn Menschen machen beim Kopieren Fehler oder fügen selbst Aspekte hinzu.

Auf diese Weise verändert sich menschliche Kultur von Generation zu Generation. Alba Motes vergleicht dies mit dem Spiel „Stille Post“, bei dem ein Spieler seinem Nachbarn einen Begriff ins Ohr flüstert. Der Begriff wird von Mitspieler zu Mitspieler weitergegeben, was durch Hörfehler am Ende häufig zu einem anderen Begriff führt als dem Ursprungswort.

Wann genau die Mechanismen des Kopierens, die der menschlichen Kultur zugrunde liegen, entstanden sind, wird kontrovers diskutiert. Eine These besagt, dass die Fähigkeit, Verhalten zu kopieren, schon Millionen von Jahren zurückreicht und dass auch Menschenaffen einander kopieren. Eine andere These geht davon aus, dass Menschenaffen und auch viele Vorfahren der Menschen einander nicht kopieren.

Alba Motes-Rodrigo und Claudio Tennie suchten mit einer neuen Herangehensweise nach Beweisen für den Prozess des Kopierens bei Menschenaffen. Sie versuchten, Verhaltensweisen in Affenpopulationen zu identifizieren, die Veränderungen von Generation zu Generation durchlaufen haben. „Beruht das Verhalten der Menschenaffen wirklich auf Nachahmung, wie es bei Menschen der Fall ist, würden wir erwarten, dass sich ihr Auftreten kulturell verändert hat und es deshalb inzwischen einzelne Verhaltensweisen geben müsste, die nur auf eine Population an einem Ort beschränkt sind“, erklärt Motes.

Das Team suchte deshalb nach regional einzigartigen Verhaltensmustern von Menschenaffen, sowohl in allen veröffentlichten Berichten über Menschenaffen sowie in Gesprächen mit Experten für Menschenaffen. Ihr Ergebnis: Die überwältigende Mehrheit der Verhaltensweisen von Menschenaffen ist nicht regional begrenzt. Aus hunderten Verhaltensmustern konnten lediglich drei nicht andernorts nachgewiesen werden.

Diese Ergebnisse zeigen dem Forschungsteam zufolge, dass die Kultur der Affen durch andere Lernmechanismen aufrechterhalten wird als die menschliche Kultur. Im Gegensatz zum Menschen kopieren sich Affen nicht gegenseitig, sondern erfänden jede ihrer Verhaltensweisen in jeder Population und in jeder Generation immer wieder neu.

„Dabei werden sie lediglich durch andere zu diesen Neuerfindungen angeregt, ohne dass die jeweilige Form der Verhaltensweise kopiert wird. Diese Erkenntnis erscheint überraschend, wird aber von neuesten Studien der vergleichenden Kognitionswissenschaften gestützt“, sagt Tennie. In diesen Untersuchungen kopierten Menschenaffen nur dann neue Verhaltensweisen, wenn sie vorher durch Menschen auf Verhaltenskopien trainiert worden waren.

Publikation

Alba Motes-Rodrigo and Claudio Tennie: The Method of Local Restriction: in search of potential great ape culture-dependent forms. Biological Reviews, DOI 10.1111/brv.12710



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