Warum afrikanische Buntbarsche fremde Jungen adoptieren

(19.03.2013) Dass Tiere die Jungen fremder Eltern als die eigenen akzeptieren, kommt gar nicht so selten vor. Das ist dennoch erstaunlich, denn Adoption widerspricht einer der Grundthesen der Darwin’schen Evolutionstheorie: Eltern sollten nämlich so viel eigenen Nachwuchs zeugen, wie nur möglich.

Franziska Schädelin und ihre Kollegen an der Vetmeduni Vienna schlagen jetzt in einer neuen Studie bei afrikanischen Buntbarschen eine Lösung dieses Widerspruchs vor. Eigenen Nachwuchs in fremden Nestern zu haben, erhöht bei allen Jungtiere die Wahrscheinlichkeit, zu überleben. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Behavioural Ecology“ erschienen.


Eine Kolonioe Buntbarsche (Neolamprologus caudopunctatus) im Tanganyikasee in sieben Metern Tiefe

Das Phänomen der Adoption beschäftigt Evolutionsforscher, seit Charles Darwin mit seiner Idee der natürlichen Zuchtwahl an die Öffentlichkeit trat. Nicht nur hält adoptierter Nachwuchs Eltern davon ab, sich mehr um die eigenen Jungen zu kümmern, Adoptiveltern fördern auch den Nachwuchs fremder Eltern.

Warum also sind viele Tierarten dennoch bereit, sich um fremden Nachwuchs zu kümmern? Dieser Frage nehmen sich Franziska Schädelin und ihre Kollegen vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna) in ihrer neuen Studie an.

Bruthöhlen am Seegrund

Die Forschenden untersuchen eine kleine Art von Buntbarschen, sogenannte Cichliden, die im afrikanischen Tanganyikasee leben. Diese Art bleibt für längere Zeit mit demselben Partner zusammen, lebt also monogam, und betreibt Brutpflege. Die Elternpaare bauen kleine Nesthöhlen, um ihre Laichgelege und später auch die geschlüpften Jungtiere vor Raubtieren zu schützen.

Bei Tauchgängen zum Seegrund in zwölf Meter Tiefe sammelten die Wissenschaftler aus über 30 Nestern mehr als 350 DNA-Proben von Elterntieren und ihrem Nachwuchs. Diese Proben wurden mit aufwendigen Genanalysetechniken auf Verwandtschaftsbeziehungen untersucht.

Fischbrut reist im Elternmaul

Die meisten Nester enthielten einen Anteil an Jungtieren, der tatsächlich mit keinem der beiden dort ansässigen Elterntiere verwandt war. Einige Nester enthielten sogar Nachwuchs von drei oder mehr Elternpaaren.

In manchen Bruthöhlen fanden die Forschenden Jungtiere, die in Nestern geschlüpft sein mussten, die bis zu 40 Metern entfernt lagen. Sehr kleine Jungfische könnten zwar wenige Meter weit zu einer Nachbarhöhle schwimmen, ohne gefressen zu werden.

Dass sie aber größere Distanzen überwinden, halten die Forschenden für unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher sei, dass die Elterntiere ihren Nachwuchs im Maul über diese Distanzen zu anderen Brutnestern transportieren, wie es auch schon im Aquarium beobachtet wurde.

Verteiltes Risiko

Elterntiere, die ihre eigenen Jungen über große Distanzen zu anderen Nestern bringen, könnten so sicherstellen, dass zumindest einige ihrer Nachkommen in Sicherheit aufwachsen, wenn das ursprüngliche Nest, und möglicherweise auch Nester in der nahen Umgebung von Fressfeinden geplündert werden.

Doch warum sollten dann die entfernt lebenden Stiefeltern die fremden Jungtiere bereitwillig wie ihre eigenen aufnehmen? „Zieheltern die fremden Jungen akzeptieren, verringern mit einer Art Verdünnungseffekt das Risiko, dass der eigene Nachwuchs gefressen wird“, argumentiert Schädelin.

Auswahl nach der Größe

Wenn das stimmt, dann sollten die Adoptiveltern bevorzugt fremde Jungtiere adoptieren, die kleiner sind als der eigene Nachwuchs. Denn je kleiner die Jungen sind, desto eher werden sie auch gefressen, das ist bereits bekannt.

Schädelin und ihre Kollegen fanden heraus, dass die Jungtiere, die von den leiblichen Eltern zur Adoption freigegeben wurden, tatsächlich größer sind als solche, die sie bei sich behielten. Andererseits waren die eigenen Jungtiere im Allgemeinen etwa gleich groß wie adoptierte.

Es scheint also, als würden Elterntiere genau auswählen, welche fremden Jungen sie adoptieren. Gleichzeitig scheinen sie auch ihren eigenen Nachwuchs gezielt nach Größe auf andere Brutpaare zu verteilen.

Sich die Arbeit bei der Aufzucht der Jungen unter mehreren Familien aufzuteilen, könnte bei der untersuchten afrikanischen Buntbarschart also eine Art Versicherung gegen Überfälle von Fressfeinden zu sein. Schädelin fasst ihre Ergebnisse so zusammen: „Für eine Fischart, die so stark Fressfeinden ausgesetzt ist, muss es von großer Bedeutung sein, eine Strategie zu haben, die wenigstens einigen der Jungen einer Brut das Überleben sichert. Es sieht so aus, als würden diese Buntbarsche es vermeiden, alles auf eine Karte zu setzen.“

Der Artikel “Nonrandom brood mixing suggests adoption in a colonial cichlid” der Autoren Franziska C. Schädelin, Wouter F.D. van Dongen und Richard H. Wagner wurde in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Behavioral Ecology” (2013, 24(2):540-546) veröffentlicht. Die Zusammenfassung des wissenschaftlichen Artikels ist online verfügbar (Volltext gegen Entgelt oder Subskription):
http://dx.doi.org/10.1093/beheco/ars195



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