Vermehrung des SARS-Virus im Tierversuch blockiert

(01.08.2004) Ein internationales Wissenschaftler-Konsortium unter Beteiligung der Philipps-Universität Marburg hat eine effiziente Methode zur Herstellung von Antikörpern gegen SARS entwickelt.

Die Ergebnisse wurden jetzt in Nature Medicine veröffentlicht. Im Tierversuch führten die gewonnenen neutralisierenden Antikörper bereits zu einer Blockade der Vermehrung des SARS-Coronavirus


Elektronenmikroskopische Aufnahmen des SARS-Coronavirus

Ein Wissenschaftler-Konsortium aus vier Ländern unter Beteiligung von Marburger Virologen hat eine Methode entwickelt, um schnell und effizient Antikörper gegen das SARS-Coronavirus herzustellen. "Wir vermuten, dass sich jetzt eine wirkungsvolle Möglichkeit der schnellen Bekämpfung von SARS-, aber auch von anderen Virus-Epidemien eröffnet", so Dr. Stephan Becker vom Institut für Virologie der Philipps-Universität Marburg.

Im Tierversuch an Mäusen haben die bei dem neuen Verfahren gewonnenen neutralisierenden Antikörper bereits gezeigt, dass sie die Vermehrung des Virus effizient blockieren. Die Ergebnisse wurden am 11. Juli 2004 als Advance Online Publication des Wissenschaftsmagazins Nature Medicine vorgestellt und erscheinen im August in der Druckausgabe.

Becker firmiert dabei als "equal contributor" (gleichberechtigter Autor) neben Elisabetta Traggiai vom Institute for Research in Biomedicine (IRB) im schweizerischen Bellinzona und Kanta Subbarao vom Laboratory of Infectious Diseases (LID) in Maryland, USA. SARS, das Schwere Akute Atemwegssyndrom, wurde erstmals im Februar 2003 in Hanoi, Vietnam, beschrieben und hat weltweit schon zahlreiche Opfer gefordert.

Die neue Methode zur Herstellung von neutralisierenden Antikörpern gegen SARS beruht darauf, so genannte B-Gedächtniszellen aus dem Blut von Menschen zu gewinnen, welche die Infektion überstanden haben.

Während der Körper bei einer Erstinfektion normalerweise ein bis zwei Wochen benötigt, um Antikörper gegen ein Virus zu bilden - ein Zeitraum, in dem sich das Virus aber bereits vermehrt und oft schon eine Erkrankung auslöst -, stellen diese Zellen sozusagen eine schnelle Eingreiftruppe des Organismus dar.

Nach überstandener Erstinfektion patrouillieren sie dauerhaft im Körper und können kurzfristig Antikörper gegen den dann bereits bekannten Angreifer ausschütten. So vermehrt sich das Virus nicht weiter und der befallene Organismus gewinnt den Wettlauf mit der Zeit.

Die B-Gedächtniszellen wurden aus dem Blut von SARS-Überlebenden isoliert. Elisabetta Traggiai und Antonio Lanzavecchia, beide vom IRB, machten die Gedächtniszellen im Reagenzglas mittels einer Virusinfektion "unsterblich": Der Fachbegriff besagt, dass sich diese theoretisch unendlich oft teilen können.

Danach wurden die B-Gedächtniszellklone von den Marburger Forschern Larissa Kolesnikova und Stephan Becker daraufhin untersucht, ob sie Antikörper gegen das SARS-Coronavirus ausschütteten. Bei etwa fünf Prozent der geklonten Zellen konnten diese Antikörper die Infektion von Zellkulturen durch das SARS-Coronavirus verhindern.

Anschließend züchteten die Forscher jene Zellen, die besonders effizient Antikörper ausschütteten, in großen Mengen an. Die neutralisierenden Antikörper wurden gereinigt und von Kanta Subbarao und Brian Murphy, beide vom LID, im Tierexperiment eingesetzt. Schon eine relativ geringe Menge an Antikörpern, so zeigte sich, konnte die Vermehrung des SARS-Coronavirus in infizierten Mäusen effizient blockieren.

Die neue Methode zur Herstellung von menschlichen monoklonalen Antikörpern hat drei wesentliche Vorteile. Sie ist schnell: Innerhalb von drei Monaten nach dem Auftreten von SARS, im Juli 2003, hatte die Forschergruppe bereits die ersten neutralisierenden Antikörper gewonnen.

Sie ist spezifisch: Da die Antikörper von einem Individuum stammen, das die Infektion durch den SARS-Coronavirus glücklich überstanden hatte, war sicher gestellt, dass für das SARS-Coronovirus spezifische und relevante Antikörper vorhanden waren. Und drittens: Sie ist breit anwendbar. Nicht nur das SARS-Virus kann mit dieser Methode bekämpft werden, zumindest im Prinzip könnte damit eine ganze Reihe von Virusinfektionen inhibiert, also gehemmt werden.

Auch der Zeitpunkt der zurückliegenden Virusinfektion des Patienten, aus dem die B-Gedächtniszellen isoliert werden, spielt für die Gewinnung von Antikörpern offenbar keine entscheidende Rolle. Die Forscher isolierten erfolgreich B-Gedächtniszellen und damit neutralisierende Antikörper aus Personen, deren Erkrankung, in diesem Fall eine Masernvirusinfektion, schon mehr als vierzig Jahre zurück lag. Daher ist zu vermuten, dass sich mit der jetzt vorgestellten Methode auch Epidemien bekämpfen lassen, die von bislang unbekannten Viren ausgelöst werden.

Hintergrund des Forschungsprojekts ist die Epidemie im März letzten Jahres, die von dem bis dahin unbekannten SARS-Coronavirus ausgelöst wurde. Sie forderte von insgesamt rund achttausend infizierten Personen etwa achthundert Todesopfer, viele davon Krankenschwestern und Ärzte.

Ein besonderes Interesse der Forschung besteht daher auch darin, das Pflegepersonal vor einer Infektion zu schützen, um die Funktionsfähigkeit der Gesundheitssysteme im Falle einer Epidemie zu gewährleisten. Diese Möglichkeit scheint durch das neue Verfahren nun gegeben zu sein.

Die erste Therapie, die Menschen durch die Verabreichung von Antikörpern vor Erkrankung schützte, hatte vor etwa hundert Jahren der Marburger Medizinprofessor Emil von Behring entwickelt, der für seine Entdeckung der Antikörper im Jahr 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin erhielt.

Im Rahmen seiner "Serumtherapie" verabreichte er Personen, die an Diphterie erkrankt waren, ein Serum, das er von einem mit dem Diphterietoxin - also mit den Eiweißen, die von Diphteriebakterien ausgeschüttet werden - immunisierten Pferd gewonnen hatte. Als Serum bezeichnet man denjenigen flüssigen Bestandteil von Blut, der nach dessen Gerinnung übrig bleibt. Pferdeserum wird heute allerdings nur noch selten verwendet, da die Tiereiweiße beim Menschen allergische Reaktionen auslösen können.

Heutzutage werden stattdessen gereinigte menschliche Seren mit Antikörpern gegen das zu bekämpfende Virus oder Bakterium eingesetzt. Gegen hoch pathogene Viren wie etwa das Ebola-Virus oder das SARS-Coronavirus stehen davon allerdings viel zu wenige zur Verfügung, unter anderem, weil es zu wenige Patienten gibt, von denen es gewonnen werden könnte.

Ein weiterer Grund ist, dass vor allem in Afrika ein hohes Risiko der Kontaminierung der Seren mit dem AIDS-Virus besteht. Die Alternative, nämlich die Herstellung von Antikörpern im Reagenzglas, ist bislang sehr zeitaufwändig und häufig erfolglos.


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