Wie der Käfernachwuchs in Kadavern gedeiht

(01.11.2018) Totengräber-Käfer verwandeln mit Mikroorganismen aus dem eigenen Darm Kadaver in nährstoffreiche Kinderstuben für ihre Larven – Wichtige Ressource für die Antibiotikaforschung in Gießen

Der Totengräber-Käfer Nicrophorus vespilloides vergräbt die Kadaver kleiner Tiere in der Erde, um sie als Futterquelle für seinen Nachwuchs zu nutzen.

Was die Käfer-Eltern unternehmen, um die mikrobielle Zersetzung, die Fäulnis und die damit verbundene Bildung von Giftstoffen zu stoppen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie (MPI) in Jena und der Universität Mainz untersucht.


Ein Totengräber-Paar versorgt seine Jungen: Vater und Mutter haben einen toten Kleinnager konserviert.

Die Käfer ersetzen demnach schädliche Mikroben mit nützlichen Mikroorganismen aus ihrem eigenen Darm und sorgen so dafür, dass sich der Käfernachwuchs in dem Kadaver wohlfühlt und bestens gedeiht. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift „PNAS - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ veröffentlicht.

Ohne entsprechende Pflege der Brutstätte würden die Tierleichen infolge mikrobieller Zersetzung schnell beginnen zu faulen. Unter natürlichen Bedingungen würde dann der Verwesungsprozess einsetzen, in dessen Folge giftige Stoffwechselprodukte gebildet und Nährstoffe abgebaut werden.

Das Forscherteam unter der Leitung des MPI Jena hat herausgefunden, dass der Totengräber-Käfer die Nahrungsgrundlage für seine Jungen bewahrt, indem er sie mit nützlichen Mikroorganismen aus seinem eigenen Darm „impft“.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmten die Bakterien- und Pilzgemeinschaften von Kadavern, die von Käfern gepflegt oder nicht gepflegt worden waren, und verglichen die Stoffwechselaktivität der Mikroorganismen.

Sie quantifizierten außerdem Putrescin und Cadaverin, nach Fäulnis stinkende organische Verbindungen, die maßgeblich zum Verwesungsgeruch beitragen, sowie Aminosäuren.

„Die Käfer sterilisieren nicht einfach den Kadaver. Vielmehr ersetzen sie das für Aas typische Mikrobiom mit einem noch komplexeren: mit Symbionten aus ihrem eigenen Darm.

Vom Käfer übertragene Hefepilze ersetzen Schimmelpilze aus dem Boden, die normalerweise einen Kadaver schnell überwachsen, vollständig“, erläutert der Erstautor Shantanu Shukla aus dem Max-Planck-Institut für chemische Ökologie.

Dass sich der Aufwand der Käfereltern lohnt, konnte das Team auch belegen: In einem Vergleich des Larvenwachstums auf Kadavern mit und ohne mikrobielle Symbionten zeigte sich, dass Käferlarven an Kadavern ohne Symbiontenfilm deutlich kleiner waren, auch wenn sie die gleiche Menge an Kadavergewebe zu sich genommen hatten.

„Der Totengräber ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie sich Lebewesen mit Hilfe ihrer symbiotischen Mikroorganismen schwierige Ressourcen erschließen können“, fasst der Leiter der Studie, Dr. Heiko Vogel, vom MPI Jena zusammen.

In einem nächsten Schritt soll jetzt das Potenzial der identifizierten Hefepilze genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei geht es insbesondere um ihre Rolle bei der Entgiftung der Verwesungsprodukte und bei der Vorverdauung des Kadavers zum Nutzen der Käferlarven.

„Da das von den Käfern übertragene Mikrobiom das Wachstum gefährlicher und giftproduzierender Bakterien und Pilze unterdrückt, wird diese Ressource für die Suche nach neuen antimikrobiellen Wirkstoffen genutzt“, sagt Prof. Dr. Andreas Vilcinskas vom Institut für Insektenbiotechnologie der JLU, der im beteiligten Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie die Antibiotikaforschung leitet.

Die Studie wurde von der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft über das Kooperationsprojekt „AIM-Biotech – Einsatz von Insekten-assoziierten Mikroorganismen in der industriellen Biotechnologie” gefördert.


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