Wie Bakterien eine Behandlung mit Antibiotika im Schlaf aussitzen

(12.09.2018) Wissenschaftler der Universität Tübingen untersuchen die Grundlagen eines Therapieversagens, das nicht auf Resistenzen beruht

Gegen Antibiotika können krankheitserregende Bakterien Resistenzen entwickeln, diese werden dann für die Behandlung einer Infektion unwirksam. Daneben gibt es einen anderen Mechanismus, mit dem manche Bakterien der tödlichen Wirkung von Antibiotika entgehen: Einige Zellen einer Population igeln sich ein und warten ab, bis keine Gifte mehr vorhanden sind.

Dann nehmen sie ihre Lebensfunktionen wieder voll auf. So können zum Beispiel manche Harnwegsinfektionen nach scheinbar erfolgreich abgeschlossener Antibiotikabehandlung wieder aufflammen.

Universität Tübingen

Solche Überdauerungsformen, die zum Beispiel bei bestimmten Escherichia coli-Bakterien auftreten, haben Maja Semanjski, Katrin Bratl und Andreas Kiessling unter der Leitung von Professor Boris Maček vom Proteom Centrum der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit Elsa Germain und Professor Kenn Gerdes von der Universität Kopenhagen untersucht.

 Varianten eines Enzyms gaben ihnen Hinweise, welche Prozesse die Bildung von Dauerstadien einleiten. Diese Ergebnisse liefern mögliche Ansatzpunkte, um Wirkstoffe gegen die gefährlichen Schläferzellen zu entwickeln. Die Studie wird in der Fachzeitschrift Science Signaling veröffentlicht.

Von Resistenz sprechen Wissenschaftler, wenn Bakterien gegen einen Wirkstoff unempfindlich sind. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Bakterien eindringende Antibiotika erfolgreich wieder aus ihrer Zelle ausschleusen können, wenn sie diese mithilfe eines Enzyms abbauen und dadurch unwirksam machen oder wenn sie einen durch Antibiotika blockierten Stoffwechselweg durch einen alternativen Weg ersetzen.

„Antibiotika richten sich in der Regel gegen Wachstumsprozesse der Bakterien“, erklärt Kenn Gerdes.

Die Dauerstadien seien nicht resistent, sondern nur vorübergehend tolerant gegenüber den Antibiotika, indem sie ihr Wachstum einstellen. „Genetisch haben sie die gleiche Ausstattung wie die anderen Bakterien in der Population.“

Welche Zellen einer Kolonie in einen Überdauerungszustand eintreten, unterliegt keinen erkennbaren Regeln. „Es passiert selten und betrifft nur jede zehntausendste bis millionste Zelle. Das erschwert die Untersuchung“, sagt der Wissenschaftler.

Der Ausbildung der Dauerstadien auf der Spur

Das Ausbilden der Dauerstadien wird auch als Fähigkeit zur Persistenz bezeichnet. Nähere Hinweise lieferten vor einigen Jahren Bakterien, die aus Patienten mit durch Escherichia coli verursachten Harnwegsinfektionen isoliert werden konnten. Durch Mutationen, das sind Genveränderungen, wiesen sie eine bis zu tausendfach verstärkte Persistenz auf, ohne dass die Resistenz gegenüber Antibiotika gesteigert war.

Ähnliche Funde machten Forscher bei Mukoviszidose-Patienten, die mit dem entzündungserregenden Bakterium Pseudomonas aeruginosa infiziert waren. Mutiert war ein Enzym, das die Ausbildung von Dauerstadien einleiten kann, die HipA-Kinase (high persister gene A).

In der aktuellen Studie verglich das Forscherteam Escherichia coli-Bakterien mit der normalen HipA-Kinase mit solchen, deren Enzym die Mutationen aufwies. Dazu führten sie Proteomanalysen durch, bei denen jeweils der gesamte Proteinbestand der Bakterienzellen erhoben wird.

„Wir konnten feststellen, dass die normale und die mutierte HipA-Kinase ein unterschiedliches Repertoire von bakteriellen Proteinen mit Phosphat modifiziert“, sagt Boris Maček. Eine Vermutung sei gewesen, dass die HipA-Kinase das Wachstum der Bakterienzellen hemmt und so die Ausbildung der Dauerstadien einleitet.

„Der Zusammenhang ist jedoch komplizierter“, so der Wissenschaftler. „Nach unseren Untersuchungen sind die Wachstumshemmung und die Persistenz Folge zweier verschiedener Prozesse, denn die mutierte HipA-Kinase hemmt das Wachstum der Bakterienzellen deutlich weniger stark als die normale, aber erhöht die Persistenz um ein Vielfaches.“

Diese Ergebnisse liefern den Wissenschaftlern Hinweise, in welche Prozesse neue Wirkstoffe gegen die gefährlichen Persistenzen eingreifen müssten.

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