Fossile Eidechse widerlegt Theorie über Ursprung der Schlangen

(18.05.2011) Die Entdeckung einer 47 Millionen Jahre alten fossilen Eidechse widerlegt die klassische Theorie, dass Schlangen mit anderen beinlosen Reptilien verwandt sind.



Computertomographische Darstellung des Skeletts der Messel-Eidechse Cryptolacerta hassiaca
Und es erklärt, wie letztere unabhängig von Schlangen entstehen konnten. „Dieses Fossil ist das ‚missing link’, das wir so lange gesucht haben“, sagt Prof. Johannes Müller, Wissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin.


Die Untersuchung, die aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Museum für Naturkunde, dem Helmholtz-Zentrum Berlin, der Erdgeschichtlichen Denkmalpflege in Mainz sowie der University of Toronto at Mississauga hervorging, wurde in dieser Woche im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.

Der evolutionäre Ursprung der Schlangen gehört zu den großen Rätseln der Evolutionsbiologie. Während genetische Untersuchungen eine nahe Verwandtschaft mit Leguanen und Waranen vorschlagen, deutete die Anatomie der Schlangen für viele Wissenschaftler auf einen gemeinsamen Ursprung mit anderen Reptilien von schlangenähnlicher Körperform hin.

Heiße Kandidaten waren insbesondere die sogenannten Doppelschleichen oder Amphisbaenen, welche auf den ersten Blick wie beschuppte Regenwürmer aussehen und als grabende Formen vor allem in den tropischen Böden Afrikas und Südamerikas heimisch sind. Welche Hypothese ist jedoch richtig?



Das bisher einzige bekannte Skelett der Messel-Eidechse Cryptolacerta
Die Entdeckung einer kleinen, 47 Millionen Jahre alten fossilen Eidechse aus der Grube Messel bei Darmstadt liefert nun den ersten anatomischen Nachweis zur Entstehung der Doppelschleichen. Demzufolge sind diese nicht mit den Schlangen, sondern mit den sogenannten Halsbandeidechsen verwandt, zu denen u.a. auch unsere heimische Zauneidechse gehört.


Das kleine Fossil, welches die Forscher Cryptolacerta hassiaca tauften („versteckte Eidechse aus Hessen“), befindet sich in der Sammlung des Forschungsinstituts und Naturmuseums Senckenberg in Frankfurt am Main.

Die Grube Messel, seit 1995 UNESCO-Weltnaturerbe, ist berühmt für ihre außerordentlich gut erhaltenen Fossilien, die zu Zeit des Eozäns abgelagert wurden. Bekannt waren bisher vor allem Funde aus der Frühzeit der modernen Säugetiere, wie das Urpferd Propalaeotherium oder der Lemuren-artige Darwinius.

Die Untersuchung, welche aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Museum für Naturkunde Berlin, dem Helmholtz-Zentrum Berlin, der Erdgeschichtlichen Denkmalpflege in Mainz sowie der University of Toronto at Mississauga hervorging, wurde in dieser Woche im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.

„Dieses Fossil widerlegt endgültig die Hypothese, dass Schlangen mit anderen grabenden Reptilien verwandt sind und in einem gemeinsamen evolutionären Schritt sowohl ihre Gliedmaßen verloren als auch ihren Rumpf verlängerten“, sagt Johannes Müller, Wissenschaftler am Museum für Naturkunde und Professor an der Humboldt-Universität Berlin. „Es ist das Bindeglied oder ‚missing link’, das wir alle so lange gesucht haben.“

Die Forscher um Johannes Müller und Doktorandin Christy Hipsley untersuchten das Fossil mithilfe eines Mikro-Computertomographen, der es erlaubt, auch kleinste Strukturen aus dem Inneren des Skelettes in hoher Auflösung sichtbar zu machen. Anschließend kombinierten sie die anatomischen Daten mit genetischen Informationen moderner Eidechsen und Schlangen.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass der Schädelbau von Cryptolacerta eine ursprüngliche Variante des für Doppelschleichen charakteristischen kapselartigen, ans Graben angepassten Kopfes darstellt und dass beide am nächsten mit den Halsbandeidechsen verwandt sind. Die nächsten Verwandten der Schlangen sind hingegen Formen wie der moderne Komodo-Waran.

Trotz der offensichtlichen Anpassungen von Cryptolacerta an eine grabende Lebensweise blieb zunächst unklar, ob das kleine Reptil wie seine heutigen Verwandten auch wirklich vollständig im Boden lebte. Die Forscher verglichen zu diesem Zweck die Körperproportionen moderner Eidechsen, deren Lebensweise bekannt ist, mit Cryptolacerta.

Es stellte sich heraus, dass die Messel-Eidechse am ähnlichsten jenen Arten ist, die nur gelegentlich im Boden graben, aber ansonsten meist unter abgestorbenem Laub am Waldboden leben. „Cryptolacerta gibt uns Hinweise auf die ursprüngliche Ökologie einer der rätselhaftesten Gruppen moderner Reptilien und auf welche Weise die evolutionären Veränderungen zu einer grabenden Lebensweise entstanden“, sagt Jason Head, einer der Co-Autoren der Studie.

„Diese Studie zeigt, wie wichtig Fossilien für ein Verständnis der modernen Lebewelt sind“, sagt Robert Reisz, ebenfalls einer der Co-Autoren. „Und es ist faszinierend zu sehen, wie ein kleines Fossil Antworten auf bisher ungelöste evolutionäre Fragestellungen liefern kann.“

Veröffentlichung:
Müller, J., Hipsley, C. A., Head, J., Kardjilov, N., Hilger, A., Wuttke, M., Reisz, R. R. 2011.
Eocene lizard from Germany reveals amphisbaenian origins
Nature, Vol. 473, issue 7347, pp 364-367; doi:10.1038/nature09919

Bildquelle: MfN/Helmholtz-Zentrum Berlin



Weitere Meldungen

Frosch; Bildquelle: Hannelore Reitan

Welttags der Frösche: Gärten als Refugien für Amphibien und Reptilien

Anlässlich des Welttags der Frösche am 20. März stellt der Naturschutzbund als Projektpartner von Global 2000 das Projekt „BIOM-Garten“ in den Fokus
Weiterlesen

Riesenschildkröte Peltocephalus maturin; Bildquelle: Júlia d‘Oliveira

Neu entdeckte fossile Riesenschildkröte nach Stephen King-Romanfigur benannt

Ein internationales Forschungsteam rund um Dr. Gabriel S. Ferreira vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen hat eine neue Riesenschildkröten-Art aus dem späten Pleistozän beschrieben
Weiterlesen

Dr. Alexander Kupfer mit einem Schleichenlurchmodell mit Jungen in den Sammlungen des Naturkundemuseums Stuttgart; Bildquelle: SMNS, Liliana Reinöhl

Eierlegende Schleichenlurche produzieren Milch für ihre Jungen

Forschende berichten in der Fachzeitschrift „Science“ über Amphibien mit ähnlich komplexen Brutpflegemechanismen wie Säugetiere
Weiterlesen

Gefleckte Weichschildkröte (Pelodiscus variegatus) ; Bildquelle: T. Ziegler

Studie zur Verbreitung der Gefleckten Weichschildkröte liefert Basis für Schutzprogramm

Erhaltungszuchtprogramme sollen den Schutz der vom Aussterben bedrohten Gefleckten Weichschildkröte unterstützen
Weiterlesen

Iris Kodzaga befasst sich als psychologischer Perspektive mit der Therapie von Angststörungen.; Bildquelle: RUB, Kramer

Therapie gegen Spinnenangst reduziert auch Höhenangst

Eine Expositionstherapie gegen eine spezifische Angst kann auch andere Ängste mildern. Zu diesem Schluss kommen Psychologinnen und Psychologen der Ruhr-Universität Bochum, die 50 Menschen mit Spinnen- und Höhenangst untersuchten
Weiterlesen

Frösche wie dieser Mittelmeer-Laubfrosch aus der Camargue in Frankreich sehen nicht nur schön aus, ihre Farbe verrät auch etwas über ihr Vorkommen.; Bildquelle: Ricarda Laumeier

Dunkle Froschlurche lieben es kühl

Frösche und Kröten weisen umso dunklere Farben auf, je kälter es in ihrem Lebensraum ist, je mehr Krankheitserreger ihnen dort drohen und je stärker sie ultravioletter Strahlung ausgesetzt sind
Weiterlesen

Piezosurgery - minimalinvasive Knochenchirurgie bei Kleinsäugern und Exoten; Bildquelle: Kleine Heimtiere

Piezosurgery - minimalinvasive Knochenchirurgie bei Kleinsäugern und Exoten

Dr. Francesco Paesano leitete vier Jahre lang die Abteilung Zahnheilkunde und Kieferchirurgie in der Tierklinik Borghesiana in Rom und arbeitet nun als Konsiliararzt im Raum Florenz
Weiterlesen

Hoogmoed´s Harlekin-Kröte; Bildquelle: Jaime Culebras/Photo Wildlife Tours

40 Prozent aller Amphibienarten vom Aussterben bedroht

Eine Fallstudie in der Biogeographie der Universität Trier zu Harlekin-Kröten zeigt aber auch Erfolge von Schutzmaßnahmen auf
Weiterlesen


Wissenschaft


Universitäten


Neuerscheinungen