Geruchsorgane der Skorpione erforscht

(13.02.2014) Wenn Skorpione ihre Opfer riechen, ringen diese meistens schon mit dem Tod. Denn das Riechorgan dieser Kieferklauenträger liegt an der Unterseite ihres Hinterleibs.

Evolutionär betrachtet riecht der Skorpion also mit weiterentwickelten Hinterbeinen. Der Ulmer Skorpionsforscher und Neurobiologe Prof. Harald Wolf hat sich dieses besondere chemosensorische Sinnesorgan einmal genauer angeschaut.


Der Nordafrikanische Dickschwanzskorpion Androctonus in Angriffsstellung
Wenn Skorpione ihre Opfer riechen, ringen diese meistens schon mit dem Tod. Paralysiert vom Gift aus der Schwanzspitze, beginnt sich ihr Gewebe langsam aufzulösen.

Wie die Spinnen nutzen die Skorpione dafür einen hochgewürgten Verdauungssaft, den sie über ihre scharfen Kieferklauen in die Beute einbringen, um diese von Innen langsam zu verflüssigen.

„Eine eher unappetitliche Vorstellung für uns, doch eine sehr effektive Art, sich die nährstoffreichen Körpersäfte von Insekten, Schnecken oder kleinen Wirbeltieren einzuverleiben“, so Professor Harald Wolf.

Der Direktor des Instituts für Neurobiologie der Universität Ulm hat ein besonderes Faible für Spezies mit ungewöhnlichen Ernährungsvorlieben. „Skorpione und Spinnen gehören zur Gruppe der Kieferklauenträger, auch Fühlerlose oder Cheliceraten genannt“, so der Biologe.

Anders als Gliederfüßer wie Insekten und Krebse haben sie keine Fühler oder Antennen, mit deren Hilfe sie chemosensorische als auch mechanische Reize wahrnehmen können.

Entwicklungsgeschichtlich betrachtet haben Insektenfühler und Kieferklauen dieselben Vorgänger, nämlich Extremitäten, die im Wasser sowohl zur Fortbewegung und als auch zum Heranstrudeln von Nahrung genutzt wurden, wie man sie heute noch beispielsweise an Salinenkrebschen oder manchen Garnelen sieht.

„Im Laufe der Evolution haben sich die unterschiedlichen Gruppen dann spezialisiert, was sie fressen und wie sie das tun wollen“, erklärt der entwicklungsgeschichtlich interessierte Neurobiologe.

Dabei gilt die Grundregel: „Wenn du dich wie die Gruppe der Kieferklauenträger einmal dazu entschlossen hast, deine Vorderextremitäten als Werkzeug zur Beuteverarbeitung zu gebrauchen, und diese sich im Laufe der Zeit entsprechend funktional ausdifferenziert haben, kannst du nicht darauf hoffen, dass du damit auch noch riechen kannst.

Auf Fühler sowie Antennen musst du dann also verzichten“, veranschaulicht der Skorpionsforscher dieses Dilemma.

Der Geruchssinn gehört allerdings zu den wichtigsten Sinnesorganen im Tierreich. Keine Spezies würde freiwillig darauf verzichten wollen. Die chemosensorische Rezeption, zu der Geruchs- und Geschmackssinn zählen, ist für die Nahrungs- und Partnersuche sowie für die Kommunikation und Orientierung unabdingbar.


Bauchseite des ägyptischen Dickschwanzskorpions (Androctonus egypticus): unmittelbar hinter dem letzten, vierten Laufbeinpaar liegen die "riechenden" Kammorgane
Die Lösung der Skorpione und Spinnen ist ungewöhnlich: Wenn sich im Laufe der Zeit aus Urgliedmaßen Laufbeine, Sprungbeine, Geschlechtsfortsätze, Fühler oder sekret-injizierende Kieferklauen entwickeln lassen, könnten sich daraus nicht auch riechende Beine herausbilden?

Doch während die Spinne ihre berührungsempfindlichen Chemosensoren an den vorderen Tastbeinen trägt, kann der Skorpion mit einer ganz besonderen Konstruktion aufwarten. Seine Geruchsorgane liegen an der hinteren Unterseite des Bauches.

Wolf dreht das präparierte Exemplar eines Kaiserskorpions auf den Rücken und zeigt auf die so genannten Kammorgane. Diese fächerartigen Strukturen, die an die kammförmigen Fühler von großen Käfern erinnern, befinden sich aber auf der Unterseite des Hinterleibs.

„Die sehen zwar aus wie Antennen, sind aber evolutionär aus Beinen hervorgegangen, die sich morphologisch zu `Bauchantennen´ weiterentwickelt haben. Streng genommen riecht der Skorpion also mit den Füßen“, stellt der Biologe klar.

Und auch wenn er aufgrund der Lage des Geruchssinns auf der Unterseite des Körpers keine Luftströmungen auf olfaktorische Moleküle hin auswerten kann, hat der Skorpion ein ausgeprägtes Riechorgan.

Die Kammform garantiert eine maximale Oberfläche zur Präsentation von Geruchsrezeptoren. Immerhin haben männliche Skorpione circa 140 000 Sensorzellen, darunter sowohl mechanische als auch chemosensorische Rezeptoren.

„Wir vermuten, dass der Skorpion diese vor allem bei der Partnerwahl einsetzt“, meint Harald Wolf. Aufgrund der beschränkten Reichweite ist er für die Nahrungssuche aus der Ferne wohl nicht sehr hilfreich, wohl aber für die Verfolgung von Geruchsfährten oder den körpernahen Beute-Check vor Ort.

Während Gliedertiere im Laufe der Evolution sehr große Unterschiede bei der Herausbildung der chemosensorischen Sinnesorgane zeigen, fällt bei der Betrachtung der neurobiologischen Organisation auf, dass die Reizverarbeitung auf der ersten Ebene des Zentralnervensystems sehr ähnlich abläuft.

„Und dieses Organisationsprinzip scheint universell zu sein“, vermutet Wolf. Mit Hilfe histologischer Untersuchungen und cytochemischer Analysen konnte er nachweisen, dass die Fortsätze der chemosensorischen Sinneszellen alle in so genannten Glomeruli zusammengefasst sind. Diese winzigen kugelförmigen Strukturen empfangen jeweils Signale aus ganz spezifischen Untertypen von Sensorzellen.

Aus der Vielzahl dieser neuronalen Kugelkörperchen lässt sich also die Anzahl unterschiedlicher Sensorzelltypen ableiten. Die Wissenschaftler nennen das zugrundeliegende Prinzip 1:1-Organisation. Und dieses lässt sich auch auf die genetische Repräsentation übertragen.

So korreliert bei den bisher daraufhin untersuchten Tierarten die Anzahl von Glomeruli und Sensorzelltypen auch direkt mit der Anzahl an Genen, die für olfaktorische Rezeptorproteine kodieren.

Harald Wolf forscht eigentlich zu Themen wie den neurobiologischen Grundlagen der Sensomotorik, Navigation und Orientierung. „Die Skorpionsforschung ist eher ein `Hobbyprojekt´ von mir, das ich allerdings schon seit vielen Jahren nebenbei verfolge – Zeit und Skorpione vorausgesetzt.

Auch wenn die Drittmittelgewinnung in diesem Bereich alles andere als leicht fällt, ist das Interesse unter Krebstier-, Insekten- und Wirbeltierforschern an meiner Arbeit erstaunlich groߓ, so der 58-jährige Naturwissenschaftler nicht ohne Stolz.

So zeigt diese doch recht exotische Forschung, für die Wolf eigens eine Kooperation mit Wissenschaftlern aus den Universitäten Bonn und Greifswald aufgebaut hat, wie grundsätzlich ähnlich die neurologische Reizverarbeitung in der Chemosensorik organisiert ist; und das bei der großen evolutionären Vielfalt in der Entwicklung von Geruchssinnen und anderen chemosensorischen Organen. Veröffentlicht wurden die riechenden Skorpionsfüße in ChemoSense (Vol. 15, No.5) Ende letzten Jahres, einem seit 1998 erscheinenden Open Access-Journal.

„Denn Forschung sollte grundsätzlich zugänglich sein und deren Ergebnisse frei verfügbar. Für die Drittmitteleinwerbung ist die klassische Publikation vielleicht noch länger unabdingbar, doch darüber hinaus gibt es große Spielräume, die wir nutzen sollten“, glaubt der Ulmer Biologe.



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