Pferdegenetik: Moderne Pferdepopulation hat nur wenige Stammväter

(06.04.2013) Eine neue Studie von Forschenden der Vetmeduni Vienna am Pferdegenom zeigt, dass das Y-Chromosom, das nur bei männlichen Tieren vorkommt, bei mehr als 600 untersuchten Hengsten kaum Unterschiede aufweist. Mit fünf Abschnitten dieses Chromosoms konnten die Forschenden jetzt dennoch einen völlig neuen Stammbaum für Zuchthengste im europäisch-asiatischen Raum erstellen.


Die Karte zeigt die Verbreitung der sechs bei Hengsten gefundenen Haplotypen (HT1-HT6) in Europa und Amerika
Dabei traten sechs gut unterscheidbare väterliche Abstammungslinien zutage. Die Studie wurde soeben in der Onlinezeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.

Bei Säugetieren, auch beim Menschen, legt die Zusammensetzung bestimmter Gene das Geschlecht fest: Weibchen haben zwei X-Chromosomen, Männchen ein X- und ein Y-Chromosom. Die Y-Chromosomen werden nur von Vätern an ihre Söhne weitergegeben.

Deshalb bilden diese Chromosomen eine männliche Verwandtschaftslinie. Im Gegensatz dazu geben nur weibliche Säugetiere bestimmte Zellorganellen, die Mitochondrien, an ihre Nachkommen weiter. Mitochondrien haben ihre eigene DNA, und es ist bereits bekannt, dass diese sogenannte mtDNA bei modernen Pferden sehr vielfältig ist. Folglich haben in der Vergangenheit sehr viele Stuten ihre DNA an ihren Nachwuchs weitergegeben.

Paradoxe Pferdegenetik

Bei den väterlich vererbten Y-Chromosomen wurde beim Pferd bisher jedoch nahezu keine genetische Variabilität festgestellt. Das machte die Bestimmung männlicher Abstammungslinien bei Pferden bisher unmöglich. Zudem schafft diese genetische Einförmigkeit ein Paradoxon: Wie kann eine Tierart eine so enorme Fülle an weiblichen Abstammungslinien haben und gleichzeitig so wenige männliche Linien?

Barbara Wallner und ihre Kollegen vom Institut für Tierzucht und Genetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna) haben sich dieser Frage in einer soeben veröffentlichten Studie angenommen.

Sehr geringe genetische Vielfalt

Aus einer Gruppe europäischer Pferdezuchtlinien wählte Wallner zunächst 17 Hengste aus. Mit Pooling-Techniken analysierte sie deren DNA-Sequenz an mehreren, insgesamt 200.000 Basenpaare langen DNA-Abschnitten auf dem Y-Chromosom der Tiere. Die Y-Chromosomen ähnelten sich stark, nur fünf Regionen zeigten Variation. „Diese Daten bestätigten, was wir schon vermutet hatten: die Y-Chromosomen moderner Zuchtpferde weisen viel weniger Variation auf, als die anderer domestizierter Tierarten“, kommentiert Wallner die Ergebnisse.

Sechs männliche Zuchtlinien

Mit den fünf variablen Abschnittes auf dem Y-Chromosom, Polymorphismen genannt, konnten die Forschenden in der Folge über 600 Hengste aus 58 vor allem europäischen Pferderassen in eine Art Stammbaum gruppieren. Sie fanden sechs unterscheidbare Linien, so genannte Haplotypen. Der verbreitetste Haplotyp kommt in nahezu allen untersuchten Rassen verschiedenster Nutzungsrichtungen und geografischer Regionen vor.

Ein zweiter Haplotyp tritt ebenfalls in hoher Frequenz auf, nicht aber bei Zuchtlinien aus Nordeuropa und der iberischen Halbinsel. Ein Dritter findet sich in fast allen untersuchten englischen Vollblutpferden und in sehr vielen Warmblütern. Die übrigen drei Haplotypen treten nur bei lokal begrenzten Linien aus dem europäischen Norden auf: der vierte bei Islandpferden, der fünfte bei Fjordpferden aus Norwegen und der sechste Haplotyp bei Shetlandponys.

Auf einzelne Mutation zurückverfolgt

Die Pferdezucht unterliegt traditionell einer sehr strengen Kontrolle, viele Zuchtbücher gehen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Die Kombination der Information aus Zuchtbüchern mit den neuen genetischen Daten ermöglichte den Forschenden viele der heute existierenden männlichen Linien zu ihren väterlichen Wurzeln zurückzuverfolgen.

„Unsere Resultate sind faszinierend: beispielsweise spiegelt das Y-Chromosom eindeutig den enormen Einfluss der aus dem Nahen Osten importierten Hengste auf die zentral- und westeuropäische Pferdepopulation wider.

Einer der sechs Haplotypen, entstand durch eine Mutation, die einst im berühmten englischen Vollbluthengst namens Eclipse 1764, seinem Sohn oder seinem Enkel auftrat. Es ist verblüffend, zu sehen, wie groß der Einfluss dieser Zuchtlinie auf die modernen Sportpferde ist. Nahezu alle englischen Vollblutpferde sowie die Hälfte der modernen Warmblutpferdezüchtungen tragen den Eclipse-Haplotyp“, berichtet Wallner.

Väter ganzer Generationen

In ihrer neuen Studie konnten Wallner und ihre Kollegen die geringe Diversität auf dem Y-Chromosom von modernen Pferden bestätigen. Eine Tatsache, die der großen Diversität in der mitochondrialen Pferde-DNA deutlich entgegengesetzt ist. Dieser Unterschied liegt größtenteils darin begründet, dass ungleich mehr weibliche als männliche Tiere ihr Erbgut an folgende Generation weitergeben konnten.

Wildpferde haben zwar auch eine sogenannte polygyne Fortpflanzungsstrategie, bei der ein Leithengst mit mehreren Stuten Nachkommen zeugt. Den stärksten Einfluss dürften aber die vom Menschen gesteuerten Züchtungsstrategien in der Pferdzucht haben.

Gottfried Brem, der leitende Autor der Studie, kommentiert die Ergebnisse: „Die meisten Pferdezuchtlinien entstanden in den vergangenen 200 Jahren. Während dieser Zeit änderte sich die Verwendung der Tiere vom Arbeitstier und Armeepferd hin zur heutigen Verwendung in Sport und Freizeit. Züchterisch wurde das durch die intensive und teilweise überregionale Verwendung von streng ausgesuchten Hengsten erreicht. Unsere Arbeit zeigt den maßgeblichen Einfluss dieser Zuchtstrategie auf die Y-chromosomale Vielfalt der modernen Gebrauchspferderassen.“

Der Artikel “Identification of genetic variation on the horse Y chromosome and the tracing of male founder lineages in modern breeds” von Barbara Wallner, Claus Vogl, Priyank Shukla, Jörg P Burgstaller, Thomas Druml und Gottfried Brem wurde in der aktuellen Ausgabe der renommierten Online-Zeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.

Der wissenschaftliche Artikel im Volltext online (Open Access):
http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0060015



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